Donnerstag, 1. Dezember 2016

Eine Frage der Würde: Von den Bäumen, die nicht mehr sein durften



Haltet einen Moment inne und stellt euch vor, Bäume könnten Empfindungen haben. Dann lest meinen Bericht und fühlt, was er mit euch macht.

Viele Jahre lang führte mein Arbeitsweg mich an einer Familie hochgewachsener Pappeln vorbei. Es mögen sieben, vielleicht auch neun wunderschöne, alte Exemplare gewesen sein. Jede einzelne mehr als zwanzig Meter hoch. Stolz und erhaben säumten sie meinen Weg und ich kam nicht umhin, aufrichtige Bewunderung zu fühlen, wenn ich sie sah.

Eines Tages wurde dieses schöne Bild jäh und brutal zerstört. Man hatte die Bäume beschnitten. Fort waren die langen Äste, nackt und wund ragten Stumpen in den Himmel. Mit diesem ersten Beschnitt wurde das Ende der sanften Riesen eingeläutet. Und was ich fortan Tag um Tag miterleben musste, brach mir mein Herz.

Nicht nur, dass diese wunderschönen alten Bäume ganz offensichtlich nur aus dem Grunde weichen mussten, um der im direkt angrenzenden Verwaltungsgebäude ansässigen Bürogemeinschaft nicht mehr länger die Sicht zu rauben – nein, es folgte kein schnelles und somit gnädiges Fällen, sondern ein quälend langsames Zerlegen der Pappeln, das sich tatsächlich über Monate hinzog. Alle paar Wochen erfolgte ein weiterer Schnitt. Stück um Stück fielen sie stumm in sich zusammen, bis eines Tages nur noch die Baumstumpfen aus der Erde ragten. Es war ein trauriges Bild. Doch das Schlimmste folgte erst noch.

Über lange Wochen beließ man die sterbenden Bäume in dieser Verfassung. Bis schließlich wieder junge, frische Zweige in den alten Wurzeln keimten und stetig in die Höhe schossen. Diese Bäume wollten leben. Und sie gaben nicht auf. Weitere Wochen vergingen und die Vielzahl neuer Zweige hatte bereits die stattliche Höhe von fast zwei Metern erreicht. Mir war nicht bewusst, wie schnell junge Bäume zu wachsen vermögen und ich war sehr beeindruckt. Dieses Bild vermittelte mir ein Gefühl von Hoffnung.

Als ich eines Tages von der Arbeit zurückkehrte, sah ich einige Männer in dunklen Overalls rund um die Bäume mit ihren aufstrebenden jungen Zweigen gruppiert. Sie schoben eine Baumstumpffräse in Position. Am nächsten Morgen war Stille eingekehrt. Dort, wo über lange Jahre die Familie der Pappeln stolz die mächtigen Kronen in den Himmel gereckt hatte, fanden sich nunmehr nur noch große aufgerissene Erdgruben – und letzte Spuren von Sägespänen.

Man hatte diesen Bäumen ihre Würde geraubt. Nicht nur dadurch, dass man ihnen das Leben nahm, sondern insbesondere durch die gnadenlose Art und Weise, in der es geschah.

Es ist bereits erwiesen, dass Bäume sehr wohl Empfindungen haben. Der Förster Peter Wohlleben hat diesbezüglich über Jahrzehnte Forschungen betrieben und seine erstaunlichen Ergebnisse in einem Buch zusammengefasst: Das geheime Leben der Bäume. Seine Forschungen zeigen auf, dass Bäume fühlen, untereinander kommunizieren und sich sogar um schwächere Artgenossen kümmern. ‚Das geheime Leben der Bäume’ wurde schnell zu einem Bestseller – ein Indiz dafür, wie offen und feinsinnig unsere Gesellschaft mittlerweile geworden ist.

Alles, was wächst, lebt. Und was lebt, hat auch Empfindungen. Bäume und Pflanzen reagieren sogar auf Worte und Gedanken. Viele sensible Menschen haben selbst schon derartige Phänomene erfahren. Bäume spenden uns nicht nur Schatten, sondern vor allem auch Sauerstoff und Kraft. Sie haben unseren Respekt verdient. Wie alle anderen Lebewesen auch. Der Mensch hat sich angemaßt, sich in einer imaginären Werteskala über allen anderen Lebewesen zu positionieren. Obgleich er nicht das Recht dazu hat. Und doch so unwissend ist. Es gibt soviele Dinge in der Welt, von deren Existenz wir noch nicht einmal den Hauch einer Ahnung haben. Wir sollten ehrfürchtig sein. Und unserem Gefühl, unseren tiefen Instinkten viel mehr Vertrauen schenken. Denn nur sie lassen uns die essentiellen Wahrheiten und Botschaften des Lebens erkennen.



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