Haltet einen Moment inne und
stellt euch vor, Bäume könnten Empfindungen haben. Dann lest meinen Bericht und fühlt, was er mit euch macht.
Viele Jahre lang führte mein
Arbeitsweg mich an einer Familie hochgewachsener Pappeln vorbei. Es mögen
sieben, vielleicht auch neun wunderschöne, alte Exemplare gewesen sein. Jede
einzelne mehr als zwanzig Meter hoch. Stolz und erhaben säumten sie meinen Weg
und ich kam nicht umhin, aufrichtige Bewunderung zu fühlen, wenn ich sie sah.
Eines Tages wurde dieses schöne
Bild jäh und brutal zerstört. Man hatte die Bäume beschnitten. Fort waren die
langen Äste, nackt und wund ragten Stumpen in den Himmel. Mit diesem ersten Beschnitt
wurde das Ende der sanften Riesen eingeläutet. Und was ich fortan Tag um Tag
miterleben musste, brach mir mein Herz.
Nicht nur, dass diese wunderschönen alten Bäume ganz
offensichtlich nur aus dem Grunde weichen mussten, um der im direkt
angrenzenden Verwaltungsgebäude ansässigen Bürogemeinschaft nicht mehr länger
die Sicht zu rauben – nein, es folgte kein schnelles und somit gnädiges Fällen,
sondern ein quälend langsames Zerlegen der Pappeln, das sich tatsächlich über
Monate hinzog. Alle paar Wochen erfolgte ein weiterer Schnitt. Stück um Stück
fielen sie stumm in sich zusammen, bis eines Tages nur noch die
Baumstumpfen aus der Erde ragten. Es war ein trauriges Bild. Doch das
Schlimmste folgte erst noch.
Über lange Wochen beließ man die
sterbenden Bäume in dieser Verfassung. Bis schließlich wieder junge, frische
Zweige in den alten Wurzeln keimten und stetig in die Höhe schossen. Diese
Bäume wollten leben. Und sie gaben nicht auf. Weitere Wochen vergingen und die
Vielzahl neuer Zweige hatte bereits die stattliche Höhe von fast zwei Metern
erreicht. Mir war nicht bewusst, wie schnell junge Bäume zu wachsen vermögen
und ich war sehr beeindruckt. Dieses Bild vermittelte mir ein Gefühl von
Hoffnung.
Als ich eines Tages von der
Arbeit zurückkehrte, sah ich einige Männer in dunklen Overalls rund um die
Bäume mit ihren aufstrebenden jungen Zweigen gruppiert. Sie schoben eine Baumstumpffräse
in Position. Am nächsten Morgen war Stille eingekehrt. Dort, wo
über lange Jahre die Familie der Pappeln stolz die mächtigen Kronen in den
Himmel gereckt hatte, fanden sich nunmehr nur noch große aufgerissene Erdgruben
– und letzte Spuren von Sägespänen.
Man hatte diesen Bäumen ihre Würde
geraubt. Nicht nur dadurch, dass man ihnen das Leben nahm, sondern
insbesondere durch die gnadenlose Art und Weise, in der es geschah.
Es ist bereits erwiesen, dass
Bäume sehr wohl Empfindungen haben. Der Förster Peter Wohlleben hat
diesbezüglich über Jahrzehnte Forschungen betrieben und seine erstaunlichen Ergebnisse
in einem Buch zusammengefasst: Das geheime Leben der Bäume. Seine Forschungen zeigen auf, dass Bäume fühlen, untereinander
kommunizieren und sich sogar um schwächere Artgenossen kümmern. ‚Das geheime
Leben der Bäume’ wurde schnell zu einem Bestseller – ein Indiz dafür, wie offen und
feinsinnig unsere Gesellschaft mittlerweile geworden ist.
Alles, was wächst, lebt. Und was
lebt, hat auch Empfindungen. Bäume und Pflanzen reagieren sogar auf Worte und
Gedanken. Viele sensible Menschen haben selbst schon derartige Phänomene
erfahren. Bäume spenden uns nicht nur Schatten, sondern vor allem auch
Sauerstoff und Kraft. Sie haben unseren Respekt verdient. Wie alle anderen
Lebewesen auch. Der Mensch hat sich angemaßt, sich in einer imaginären
Werteskala über allen anderen Lebewesen zu positionieren. Obgleich er nicht das
Recht dazu hat. Und doch so unwissend ist. Es gibt soviele Dinge in der Welt,
von deren Existenz wir noch nicht einmal den Hauch einer Ahnung haben. Wir sollten
ehrfürchtig sein. Und unserem Gefühl, unseren tiefen Instinkten
viel mehr Vertrauen schenken. Denn nur sie lassen uns die essentiellen Wahrheiten und
Botschaften des Lebens erkennen.
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